Der ehemalige NZZ-Auslandskorrespondent Peter Winkler analysierte den US-Wahlkampf und gab bei seiner Lesung besorgniserregende Einblicke in die amerikanische Gesellschaft.

Aalen. „Das Vertrauen in die Demokratie wird weiter leiden“, brachte es der renommierte Referent auf den Punkt. Am Mittwochabend, 16. Oktober, sezierte er vor 160 interessierten Gästen im KUBAA die Mechanismen des Präsidentschaftswahlkampfs, die extrem polarisierte amerikanische Gesellschaft und äußerte große Sorgen vor dem demokratiefeindlichen Potential in bestimmten Bevölkerungsteilen. Die Lesung und das Autorengespräch wurden von der Katholischen Erwachsenenbildung (keb) Ostalbkreis in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, dem Wirtschaftsclub Ostwürttemberg, der Partnerschaft für Demokratie Ostalbkreis und der Schwäbischen Post organisiert.

Umfragewerte und ihre geminderte Aussagekraft

Die Veranstaltung begann mit einem Meinungsbild des Publikums, das unter anderem den Einfluss der US-Wahl auf die persönliche Zukunft als relativ hoch einschätzte. Auf Meinungsumfragen, Statistiken und Stimmungsbilder stützte der ehemalige Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), Peter Winkler, dann auch seinen Vortrag. Sein erster klarer Punkt zum Wahlkampf: Es wird sehr knapp! Gemäß des amerikanischen „the winner takes it all“-Prinzips komme es auf die Swing States an, die auch „battleground states“ genannt würden. Warum? Nur in sieben von 50 Bundesstaaten würden die Mehrheiten zwischen Republikanern und Demokraten schwanken. Im Jahr 2020 waren von 155 Millionen abgegebenen Stimmen gerade einmal knapp 43.000 Stimmen ausschlaggebend für die Verteilung der Wahlmänner, des sogenannten Electoral Colleges, für Joe Biden. Entsprechend hart werde von beiden Parteien um Wähler*innen der Swing States gekämpft. Statistiken, die mit der Gesamtheit der Bevölkerung argumentierten, seien daher wenig aussagekräftig.

Die emotionale Wahrheit wird mächtiger

In der weiteren Argumentation stellte Winkler heraus: Die emotionale Wahrheit werde immer wichtiger. In einem Wahlklima, das von einer Stimmungsmache „Wir gegen die“ anstelle von faktisch belegbaren Argumenten geprägt sei, hielten Menschen stärker an geglaubten Wahrheiten fest. So gab es 2020 beinahe 500 Klagen gegen die Rechtmäßigkeit der Präsidentschaftswahl und des Kongresses – mit einer Absicht: Eine Stimmung zu schaffen, in der die Bevölkerung Trumps Behauptung einer Wahllüge glaube. Mit Erfolg: Selbst drei Jahre nach der Wahl blieb die Überzeugung bei einem Drittel der Bevölkerung an die „geklaute Wahl“ bestehen. Damit, und mit weiteren 1500 Lügen pro Woche, schade Donald Trump dem Vertrauen in das demokratische System der USA.

Extreme, politische Polarisierung in der Gesellschaft

Im dritten Teil seines Vortrags skizzierte der Politikexperte ein extrem starkes Stadt-Land-Gefälle im Wählerverhalten. „Landkreise werden immer stärker zu politischen Monokulturen“, stellte er fest. In Ballungsräumen seien fast alle Wähler*innen progressiv-demokratisch ausgerichtet, in ländlichen Gegenden konservativ-republikanisch. Dies ginge so weit, dass nur eines von 25 Hochzeitspaaren sich über Parteigrenzen hinweg das „Ja-Wort“ geben würde. Ein Beleg für ein politisch gespaltenes Land.

Aus der geschilderten Lage eines knapp erwarteten Ergebnisses, der Bedeutung von emotionalen Wahrheiten und einer extremer werdenden Polarisierung resümierte Winkler, dass das Vertrauen in die Demokratie weiter leide. Große Sorge äußerte er vor potentiell gewaltsamen Ausbrüchen in der US-Bevölkerung. In republikanischen und evangelikalen Kreisen steige die Zustimmung für den Einsatz von Gewalt, um das Land politisch zu retten, weiterhin an. Zusammen mit dem Fakt, dass seit 2020 über viele Bevölkerungsgruppen hinweg die Waffenkäufe zunahmen, sei die Sorge von 50% der Amerikaner*innen vor einem Bürgerkrieg in den kommenden Jahren ernst zu nehmen.

Rege Beteiligung im Publikum

Moderiert von Moderator Gerhard Königer, fachkundiger Redakteur der Schwäbischen Post, kamen Fragen der Zuschauer und weitere Themen auf den Tisch. Winkler analysierte, dass selbst hochanständige Business-Leute Donald Trump wählen würden, wenn es ihren wirtschaftlichen Interessen nutze. Der Gedanke einer sozialen Marktwirtschaft werde in den USA oft noch als sozialistisches Feindbild verteufelt. Zudem machte er Hoffnung, dass es noch Unterschiede zwischen der inszenierten „Trump-Show“ und der realen amerikanischen Außenpolitik gäbe, die trotz Trump von 2016 bis 2020 besser funktioniert habe als befürchtet. Interessierte Schüler*innen der Klassen 10 und 11 des Schubart-Gymnasiums Aalen fragten nach Bidens Rückzug, dem Einfluss von Social Media im Wahlkampf oder nach Kamala Harris. Eine Empfehlung des Schweizer Experten: Man müsse die Sorgen der kleinen Leute ernst nehmen und ihnen wirtschaftlich bessere Perspektiven geben. Enttäuschte und weniger gebildete Menschen könnten der Schlüssel zum Wahlerfolg in den Swing States sein.

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